Stimmtechnik
5 min read

Sorry, ich hatte keine Zeit zu üben

Verfasser
Adrian Goldner
Veröffentlicht am
17.4.24

Während meines Musik-Studiums zog sich ein Muster permanent durch, egal ob im Gesangs- oder Klavierunterricht: Sehr häufig ging ich unvorbereitet in die Stunde, bewaffnet mit einer Ausrede à la „Sorry, ich hatte keine Zeit zu üben“.

Inzwischen weiß ich, wie es sich anfühlt, auf der anderen Seite zu stehen, wenn einer meiner Schüler:innen zu mir kommt und sich herausredet, warum wieder keine Zeit war, sich vorzubereiten.

I get it. Ich war selbst viel zu oft in der Situation.

Man nimmt sich etwas vor und dann kommt das Leben dazwischen.

Schließlich gibt es immer wichtigere Dinge, als zu üben, oder?

Auf der anderen Seite: Es gibt auch immer Dinge, die mehr Zeit in Anspruch nehmen, für die man dann auf Einmal doch Zeit hat. Wenn ich mir meine Social-Media Screen time so anschaue, frage ich mich schon, ob ich in der Zeit nicht lieber etwas Sinnvolleres hätte machen können.

Aber was kann man tun, wenn selbst „Profis wie ich“ davon berichten, dass Üben nicht immer zwangsläufig zu ihren Topprioritäten gehört haben?

Dabei liegt das Üben in meiner DNA.

Mit sieben Jahren fing ich an, Klavier und Geige zu spielen. Meine Eltern, beide professionelle und aktive Pianisten, achteten darauf, dass ich ja täglich übte.

Noch heute liegt mir meine Mutter in den Ohren, dass ich doch mal wieder meine Geige auspacken solle „Nur 5 Minuten am Tag“ sagt sie immer.

Dabei hat sie damit verdammt recht.

„Nur 5 Minuten am Tag“

Dass wir Dinge nicht tun, die wir uns vornehmen, kennen wir alle. Wie oft fing ich schon zu Joggen an, nur um eine Woche später vergessen zu haben, womit ich überhaupt anfing.

Dabei vergessen wir häufig, worauf es eigentlich ankommt, wenn wir eine Fähigkeit meistern wollen: Routine, Disziplin und regelmäßige Repetition.

In seinem Buch „Atomic Habits“ beschreibt der Autor James Clear eine einfache aber, in meinen Augen korrekte Formel:

Bewusste Übung + Automation = Beherrschung (einer Fähigkeit)

Das Problem ist nur, dass sich die meisten auf den ersten Part der Formel konzentrieren, anstelle auf das, was die eigentliche Meisterung einer Fähigkeit bedeutet: Automation.

Für den Gesang könnte man das so übersetzen:

Wer das Singen meistern will, muss so viel Routine in die Aktivität bringen, dass ihre Ausführung fast schon automatisch ablaufen kann.

Ich erzähle meinen Schülern immer, dass wir vor allem ein Ziel beim Üben verfolgen: Unser Muskelgedächtnis zu trainieren.

Befinden sich Aktionen in unserem Muskelgedächtnis, laufen sie quasi automatisch ab.

Wir können dann also währenddessen an andere Dinge denken und so mit allen Gedanken bei der Musik sein, die wir aufführen.

Wenn du also auch das Problem hast, kaum dazuzukommen, endlich wieder Gesang zu üben, dann lies weiter.

Warum wir nicht üben

Es gibt vermeintlich viele Gründe, die wir vorschieben und die „Schuld“ daran sind, dass wir nicht regelmäßig üben.

„Mir ist was dazwischen gekommen“, „ich hatte so viel zu tun“, „Mein Hals hat etwas gekratzt“ etc.

Dabei müssen wir uns fragen, wie schwierig es wirklich ist, 5 Minuten am Tag in den Kalender zu quetschen oder ob es nicht doch an etwas anderem liegt…

Meiner Erfahrung nach kann man die fehlende Motivation auf diese 3 Unsicherheiten herunterbrechen:

  1. Angst vor falscher Ausführung: Mache ich alles richtig, wenn ich übe?
  2. Unklarheit über die nächsten Schritte: Was muss ich überhaupt tun? Welche Übungen/Songs/etc?
  3. Fehlende Sinnhaftigkeit: Warum soll ich das überhaupt tun? Was nützt mir das?

Wenn man länger darüber nachdenkt, ergibt das natürlich Sinn:

Jede noch so kleine Unsicherheit führt dazu, dass der innere Wille immer kleiner wird, mit der eigentlichen Aktivität anzufangen. Die Motivation sinkt, obwohl man eigentlich Spaß am Singen hat.

Deshalb möchte ich auf die genannten Aspekte etwas näher eingehen.

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Worauf kommt es an beim Üben?

Wie bereits erwähnt, kommt es weniger darauf an, wie lange oder intensiv du übst. Den wahren Unterschied macht die Regelmäßigkeit und Disziplin, die du in deine Gesangsentwicklung steckst.

Igitt, Disziplin. Zugegeben, dieses Wort umgibt nicht ohne Grund eine unangenehme Aura. Aber wenn wir es mal ganz rational betrachten bedeutet Disziplin eigentlich nur, dass wir für unsere Aktionen heute, die Ergebnisse erst später in der Zukunft wahrnehmen können.

Also verkürzt bedeutet das: Disziplin beschreibt die Fähigkeit auf Belohnungen zu warten.

Das ist auch der Grund, weshalb uns Disziplin so schwerfällt: Das menschliche Gehirn zieht direkte Belohnungen quasi magisch an und blendet dabei manchmal fast vollständig Auswirkungen aus, die erst später auftreten.

Man denke an Dinge wie:

  • Rauchen (sofortige Wirkung des Nikotin → gesundheitliche Langzeitauswirkungen)
  • Zuckerkonsum (sofortiges „gutes“ Gefühl → gesundheitlich auf Dauer schädlich)
  • Social Media „Doomscrolling“ (sofortige Dopaminausschüttung durch immer neue Reize → Verlust des Gefühls für die „verbrauchte“ Zeit)

Die Lösung dafür kann vielfältig sein und ist oft eine Kombination aus einigen oder all diesen Punkten:

  1. Überlege dir eine sofortige Belohnung (z. B. Checkliste abhaken, Kaffee als Belohnung, etc.)
  2. Mache die Gesangs-Routine so unaufwändig wie möglich (Nur 5 Minuten)
  3. Koppel deine Gesangs-Routine an andere Gewohnheiten (Kaffee am Morgen, nach dem Zähneputzen, etc.)

Das Ziel deiner Übungs-Einheit ist also, dass du überhaupt übst. Die Konsistenz ist der Schlüssel, was du übst ist eher zweitrangig.

Was soll ich üben? Und wie?

Wenn du regelmäßigen Gesangsunterricht genießt, hat dein:e Gesangslehrer:in sicherlich ein paar Ideen hierzu und je nach dem, welche gesanglichen Ziele zu verfolgst, rate ich dir, so konkret wie möglich zu sein.

Mach dir eine Liste an Dingen, die du verbessern willst und welche Übungen du dafür ausführen willst.

Und noch besser: Schreibe dir auf, in welcher Reihenfolge du sie durchführst, sodass du idealerweise nur noch eine Checkliste abhaken kannst, an Dingen, die du üben willst.

Ich kann ein solches Vorgehen nur empfehlen und dein:e Gesangslehrer:in deiner Wahl wird dich darin sicherlich tatkräftig unterstützen.

Allerdings müssen wir den Worst Case ebenfalls berücksichtigen:

Manchmal fehlt einfach die Lust. Der Tag war ohnehin schon schwer genug und die geplanten Übungen machen dann auch nur bedingt Spaß.

Mein Tipp

Überlege dir ein sog. „Fallback-Übeprogramm“.

Dieses Programm sollte so attraktiv sein, dass die Wahrscheinlichkeit deutlich höher ist, dass du dich doch hinstellst und zumindest 5 Minuten übst.

Für mich war das so etwas wie: Ich setze mich ans Klavier und singe einen meiner Lieblingssongs. Einen, den ich schon gut kann und der mir sehr viel Spaß macht.

Das klappt übrigens auch sehr gut als „Belohnung“.

Wenn ich jetzt 20 Minuten übe, singe ich zum Schluss als Belohnung meinen Lieblingssong.

Und wenn es einer dieser grauen, unmotivierten Tage ist, wird es eben nur dieser „Belohnungssong“. Hauptsache, du bleibst dran

Wie lange soll ich üben?

Antwort: So lange wie möglich, so kurz wie nötig.

Da wir schon besprochen haben, dass es nicht auf die Länge, sondern auf die Regelmäßigkeit ankommt, kannst du sie dir selbst aussuchen.

Beachte nur Folgendes:

Je länger du üben kannst, desto mehr Zeit hast du, dein Muskelgedächtnis zu trainieren.

Je mehr Zeit du mit einer Aktivität verbringst, desto mehr lässt die Konzentration nach, mit der du diese ausübst.

Forschungen haben immer wieder gezeigt, dass die Konzentration nach ca. 15–20 Minuten rapide nachlässt, sofern man in dieser Zeit mit nur einer Aktivität beschäftigt ist.

Das bedeutet nicht, dass du nach 20 Minuten zwangsläufig aufhören sollst zu üben. Vielmehr ist das ein Reminder dafür, dass du eine sich wiederholende Tätigkeit (z. B. eine spezifische Übung) nicht viel länger als 20 Minuten ausüben kannst, ohne Gefahr zu laufen, sie aus Mangel an Konzentration, falsch auszuführen.

Also wechsel nach 15–20 Minuten:

  • Den Song, den Abschnitt, die Phrase, die Übung
  • Die Umgebung: Den Raum, die Position beim Singen, das Licht

Und wenn du gerade anfängst, dir eine Übungsroutine aufzubauen, setze das Häkchen bei „geübt“ einfach schon nach 5 Minuten.

Wie oft soll ich üben?

Die Antwort auf diese Frage sollte inzwischen selbsterklärend sein: täglich.

Die viel wichtigere Frage lautet vielmehr: Und was, wenn ich es mal doch nicht schaffe?

Hey, wir sind Menschen, keine Maschinen. Natürlich wird es vorkommen, dass du mal einen Tag auslässt. Aber was passiert danach? Wie schaffst du es, am nächsten Tag wieder weiterzumachen?

Einen Tag zu überspringen, kann Zufall sein, zwei Tage lassen schon ein Muster erahnen. Lass es gar nicht erst so weit kommen.

Starte jetzt deine Übungsroutine

Wenn du bist hier gelesen hast, hast du es wahrscheinlich verstanden:

Ich rede nicht davon, wie du am besten übst, sondern dass du übst und wie du das Üben in eine Gewohnheit überführen kannst.

Frage dich, wie du jeden Tag nur 1 % weiter kommen kannst wie im Vergleich zum Vortag.

Senke die Schwelle, die du überwinden musst, um zu üben.

Erhöhe die Attraktivität des Übens durch Belohnungen.

Kopple deine neue Routine an Alltäglichkeiten.

Das Gute ist: Je öfter wir es gemacht haben, desto weniger müssen wir uns dazu aufraffen. Studien besagen, dass wir im Schnitt 60 Wiederholungen (im Tagesabstand) benötigen, um neue Gewohnheiten aufzubauen.

Und ja, du hast auch dann geübt, wenn du im Auto 10 Minuten singst. Und manchmal kann man sich nur mental mit der Stimme auseinandersetzen und im Kopf die wichtigsten Dinge wiederholen – etwa bei Heiserkeit oder anderen Stimm-Erkrankungen.

Eine Schülerin von mir kam zeitweise immer wieder in den Unterricht, mit der Ausrede: sorry, ich konnte nicht üben. Als Lehrer höre ich den Satz natürlich nicht besonders gerne.

Aber zu meinem Erstaunen machte sie innerhalb kürzester Zeit massive Fortschritte. Ich verstand die Welt nicht mehr. War Üben doch überbewertet?

Schließlich redeten wir darüber, wie sie den Gesang in ihren Alltag einbauen könnte und dabei stellte sich heraus, dass sie jeden Tag, fast ununterbrochen, immer wieder an ihre Stimme denkt, im Hintergrund summt, im Auto und beim Staubsaugen singt.

Mein Punkt ist:

Manchmal reicht es auch, einfach nur zu singen. Du musst dich nicht immer an deinen „Übeort“ stellen, um zu üben. Das ist das Schöne an der Stimme: Wir nehmen sie überall mit hin.

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Taktik: Bereite deine neue Gewohnheit vor

  • Nimm jetzt deinen Kalender heraus und blockiere dir für jeden Tag mindestens 5 Minuten Zeit, die du aktiv mit deiner Stimme verbringst.
  • Überlege dir im Voraus, woran du arbeiten möchtest. Es ist auch ok, einfach nur zu singen, schließlich haben wir ja Spaß daran!
  • Mach das tägliche Üben so attraktiv wie möglich (z. B. mit einem Tracker, wie im beigelegten PDF).
  • Zieh’ es durch. Verzeihe dir keine und wenn, dann nutze sie, um dir zu überlegen, wie du trotzdem dranbleiben kannst.

Trainingsmethode: Tracke deinen Fortschritt

Nutze einen Tracker – ich habe weiter unten einen angehängt – und hake jeden Tag ab, an dem du gesungen hast.

Das Ziel muss sein, so viele Kästchen wie möglich auszufüllen und so wenig Weiß wie möglich übrigzulassen.

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Jetzt bist du dran.

Kriegst du es hin, jeden Tag zu singen? Nur 5 Minuten sind doch nicht zu viel verlangt, oder? Du wirst staunen, wie viel Fortschritte du auf einmal machen kannst, wenn du nur eine Regelmäßigkeit etablierst. Nutze den angehängten Singing-Tracker um dich bei der Stange zu halten. Drucke ihn aus und hake jeden Tag ab, den du gesungen hast (Ja, Chorproben und Unterricht etc. gehören auch dazu ;) )

Nimm dir jetzt jeden Tag 5 Minuten Zeit und singe.

Tracke deinen Fortschritt und fange jetzt an, deine Stimme kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Schreibe mir, wie es dir dabei erging und was das mit dir getan hat. Ich freue mich über Feedback und Anregungen für die nächsten Newsletter-Ausgaben.

In der kommenden Ausgabe reden wir darüber, wie wichtig Bewegung beim Singen eigentlich ist und wie du sie für dich nutzen kannst.

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