
Ich probe, wie ich übe
Eine meiner großen Stärken war schon immer die Fähigkeit, Neues in sehr kurzer Zeit zu lernen. Ich habe kein fotografisches Gedächtnis oder ein absolutes Gehör. Ich habe lediglich schon früh gelernt, wie ich Dinge so effektiv wie möglich in mein System kriege, und zwar nachhaltig.
Vor kurzem habe ich eine Workshopwoche mit Jugendlichen gehalten und innerhalb einer Woche 7 Stücke einstudiert. Wer mich in Proben erlebt hat, weiß, dass ich auch Chören neue Dinge sehr schnell beibringen kann. Das liegt daran, dass die Mechanismen, die ich für mich entdeckt habe und die essenziell sind, um Neues zu erlernen, universell gelten. (Und natürlich auch am Niveau der Sänger:innen und dem Grad der Vorbereitung)
Heute zeige ich dir:
- Warum es nicht um komplizierte Abläufe geht, sondern um Vereinfachung
- Mein 4-Schritt-System des strategischen Stumpfsinns
- Wie du dein Kurzzeitgedächtnis maximal effektiv nutzt
Los geht's!
Das Problem mit „cleveren“ Lernmethoden
Ich sehe immer wieder dieselben Muster bei Sänger:innen: Sie singen eine schwierige Stelle immer wieder komplett durch und hoffen, dass es irgendwann besser wird.
Dabei geht es nicht um die komplizierten Abläufe oder komplexen Strategien, sondern um das Simple, um die Vereinfachung.
Strategischer Stumpfsinn
Ich nenne es manchmal strategischen Stumpfsinn. Denn es geht vor allen Dingen darum, Abläufe auf ihre simpelste Form zu reduzieren und so zu trainieren, dass wir sie mit Gefühl und Körper verknüpfen können.
Das bedeutet Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung.
Aber strategische Wiederholung. Wiederholung, die das Große und Ganze berücksichtigt, die zusammengesetzt auch komplizierte Abläufe abbilden kann.
Schon in der Schule habe ich als Jugendlicher ein System entwickelt, mit dem ich 20-40 neue Englisch-Vokabeln in 20 Minuten so eintrainieren konnte, sodass ich am nächsten Tag eine 1 oder 2 im Vokabeltest schrieb:
- Links englisch, rechts deutsch
- Deutsche Übersetzung abdecken
- Kompletten Durchgang machen: alle Vokabeln der Reihe nach durchgehen
- Strich bei korrekter Antwort: Den Fortschritt sichtbar machen
- Fehler nachsehen und merken: beim nächsten Durchgang wieder versuchen
- Wiederholen bis alle Wörter 4-5 Striche haben
Ich bin nie bei einem einzelnen Wort hängengeblieben, sondern habe immer komplette Durchgänge gemacht. So blieb der Kontext erhalten. Ich wusste auch die Vokabeln vorher und nachher. Bei Fehlern habe ich kurz nachgesehen und es beim nächsten Durchgang wieder versucht.
Der 4-Schritt-Prozess
Das gleiche System verwende ich heute beim Singen. Mein Vierschritt:
Erstens: Problemstellen identifizieren
Zweitens: Auf das Simpelste reduzieren
Drittens: So lange wiederholen, bis es ohne Probleme funktioniert
Viertens: Mehr Kontext hinzufügen
Rinse and repeat.
Vor einiger Zeit hielt ich einen Workshop, in dem wir 4 achtstimmige Arrangements an einem Tag erarbeitet haben. Das ging vor allem nur wegen dieser sturen Systematik: Tenor singt erstmal nur seinen Part. Dann füge ich eine Stimme hinzu. Und noch eine, bis alle die Stelle singen können. Dann den Übergang zu dieser Stelle. Dann mehr Kontext von vorne. usw.
Das mag stumpf erscheinen, aber es hat noch nie nicht funktioniert.
Das Ziel: Das Kurzzeitgedächtnis
Das Ziel ist immer das Kurzzeitgedächtnis. Nicht, weil wir dort bleiben wollen, sondern weil alles, was ins Langzeitgedächtnis soll, zuerst am Kurzzeitgedächtnis vorbei muss.
Meine Methode funktioniert deshalb: Unser Muskelgedächtnis unterscheidet nicht zwischen richtig und falsch. Es merkt sich einfach, was wir am häufigsten machen. Wenn wir eine Stelle öfter falsch als richtig singen, lernen wir sie falsch. Dann müssen uns mit großer Anstrengung diese Gewohnheit wieder abtrainieren.
Der Stumpfsinn liegt in der Systematik
Der Stumpfsinn liegt in der sturren Repetition des Prozesses: Zerlegen, wiederholen bis es geht (und wenn es nach 3-5 Wiederholungen nicht geht, weiter zerlegen), zusammensetzen, Kontext hinzufügen.
Anstatt 20 verschiedene Stellen gleichzeitig zu „verbessern“, konzentriere ich mich auf eine Stelle und wiederhole sie so oft korrekt, bis sie ins Langzeitgedächtnis übergeht.
Strategischer Stumpfsinn ist nicht kompliziert, sondern konsequent.
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