
Warum sich die CVT nicht problemlos für Chöre eignet
heute möchte ich nur kurz ein Thema anreißen und auf meinen kommenden Workshop am 17.05. hinweisen.
Du wirst nämlich gleich etwas von mir hören, was du vielleicht nicht von einem autorisierten CVT-Coach und Chorleiter erwarten würdest.
→ Die CVT ist alles andere als perfekt für den Einsatz in Chören geeignet!
Und der Grund dafür ist eigentlich total simpel.
Warum sich die CVT nicht problemlos für den Einsatz in Chören eignet
In meiner Arbeit als Chorleiter und Vocal Coach über das letzte Jahrzehnt war mir eins klar: Das Singen ist die wichtigste Fähigkeit, die man als Chorleiter:in beherrschen muss. Klar, Schlagfiguren, Probenmethodik, Klavier- und Partiturspiel und von Blattlesen sind sicherlich ebenfalls von Bedeutung, aber wenn ich als Chorleiter Gesangspassagen nicht korrekt und sicher vorsingen kann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es meine Sänger:innen nicht besser singen können.
Wir sind schließlich soziale Wesen, die unterbewusst Dinge kopieren, wie:
- Körperhaltung und -spannung
- Emotionen und unsere körperlichen Reaktionen auf sie
- Bewegung und Rhythmus
- Und natürlich auch die Stimme
Singe ich meinem Chor falsch oder unsicher vor, besteht ein hohes Risiko, dass er es auch falsch nachsingt. Und mit falsch meine ich nicht den Notentext, sondern stimmtechnisch „falsch“ oder schlichtweg ungesund.
Diese Erkenntnis brachte mich auch dazu, mir die CVT genauer anzusehen, da sie einen Ruf hatte, gerade bei Chören ein effektives Tool zu sein, um noch mehr aus den Stimmen herauszuholen. Das mündete schließlich darin, dass ich selbst die dreijährige Ausbildung in Kopenhagen am Complete Vocal Institute absolvierte – mit der Hoffnung, endlich an effektive Methoden für die Stimmbildung in Chören zu gelangen.
Tja, was soll ich sagen: Mein stimmtechnisches und methodisches Wissen hat sich zwar vervielfacht, nicht aber die Effektivität meiner Probenarbeit.
Der große Nachteil der CVT im Chor
Selbstverständlich ist die Complete Vocal Technique fantastisch, um an der Stimme zu arbeiten. Sowohl in Gruppen als auch individuell. Allerdings ist ihr großer Vorteil auch gleichzeitig der größte Nachteil: ihr Umfang und ihre Komplexität.
Die CVT funktioniert dann hervorragend im Chor, wenn alle Sänger:innen im Chor inkl. Chorleitung dieselbe Sprache sprechen – wenn alle die CVT beherrschen und verstehen, um die Vocal Modes Bescheid wissen, sie reproduzieren und kopieren können usw.
Kurzum: Wenn sie sich umfassend mit ihrer eigenen Stimme auseinandergesetzt haben und idealerweise auch individuelle (CVT-) Stimmbildung genossen haben.
Und wir alle wissen, dass das auf die wenigsten Chöre zutrifft, geschweige denn realisierbar wäre.
Die Realität
Die Wahrheit ist, jeder Chor besteht aus Sänger:innen, die unterschiedlicher nicht sein können. Alter, Erfahrung, individuelle Stimmbildung, Motivation, etc. Wollen wir konsistent mit der CVT unsere Proben bestreiten, ist das Mindeste, dass wir dem Chor die Chance geben, sie zu verstehen und umzusetzen.
Ich weiß nicht, wie viele Workshops und Proben ich schon gegeben habe, in denen ich die Grundlagen der CVT so simpel und einfach wie möglich vorgestellt habe, nur um kurze Zeit darauf zu erfahren, dass fast alle den Großteil wieder vergessen haben.
Die Stimme ist nun mal ein komplexes System und die CVT ist eine Art, dieses System abzubilden und zu beschreiben, wie man es gesund und effektiv nutzen kann. Sie ist keine Schule, die leicht zu verstehen ist und die Schritt für Schritt angewandt werden kann.
Hinzu kommt, dass sie mit alten Konventionen bricht und neue Konzepte und Perspektiven einbringt, die nur schwer mit altbewährten Terminologien, wie Kopf- und Bruststimme, in Einklang zu bringen sind. Nicht nur erfordert sie eine massive Aneignung von neuem Wissen, sondern auch das Infragestellen bewährter Methoden und Konzepte.
Und wenn man sich dann die Arbeit gemacht hat, alles einzuführen und beizubringen: Was passiert mit neuen Sänger:innen? Wie können wir sicherstellen, dass sie einen ähnlichen Stand haben wie der Rest des Chores?
Nahezu unmöglich.
Die Lösung
Ich will damit nicht sagen, die CVT ist für den Einsatz in Chören gänzlich ungeeignet. Im Gegenteil: Ich nutze sie schon lange mit Begeisterung und Überzeugung. Es gibt nämlich auch große Vorteile, auf die ich in einer separaten Mail genauer eingehen möchte.
Man muss dabei nur einige Dinge beachten bzw. umstellen:
- Methodische Vereinfachungen für die tägliche Chorarbeit
- Behutsames Einführen und nachhaltiges Üben komplexerer Techniken und Themen
- Offener Blick auf andere Gesangstechniken sowie die Bereitschaft, zwischen den Techniken zu „übersetzen“. (Ich sehe mich z. B. häufig in der Situation, aus der CVT heraus zu übersetzen: „Okay, was bedeutet das jetzt aus der Sicht der Brust- und Kopfstimme?“)
Idealerweise wird das alles gepaart mit irgendeiner Form der Dokumentation oder Trainings für Neuzugänge (z. B. Trainingsvideos, Probenprotokolle oder Probenaufzeichnungen).
Letztlich geht es mir vor allem darum:
Es ist egal, mit welcher Stimmtechnik oder Schule wir arbeiten oder ob wir vollkommen intuitiv vorgehen. Solange das, was wir stimmlich machen, fundiert und gesund ist, stellen wir sicher, dass unser Chor das ebenfalls tut.
So simpel und doch so schwer.
Danke fürs Lesen
Das war’s für heute.
Ich hoffe, es wurde deutlich, warum die Stimmbildung im Chor so wichtig ist und weshalb die CVT in ihrer ursprünglichen Form nicht unbedingt so geeignet für die Chorarbeit ist, wie viele vielleicht denken.
Wenn du Interesse daran hast, zu erfahren, wie ich die Konzepte und Methoden der CVT für die Chorarbeit vereinfacht habe und wie ich sie einsetze, um zwischen den Techniken zu vermitteln, lade ich dich herzlich zu meinem Workshop am 17.05. in Frankfurt ein.
Dort werden wir einige Arrangements singen und das alles mit ein paar theoretischen Stimmtechnik-Einheiten kombinieren, um am Schluss ein kleines Mini-Konzertchen zu veranstalten.
Alle nötigen Infos findest du hier:
<a href="https://go.adriangoldner.com/workshop/" class="button" >
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